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„Roth-grün“ will die Menschenrechte durchsetzen

Portrait Claudia Roth (B'90/Grüne), Vorsitzende des Menschenrechts-Ausschusses im Deutschen Bundestag


Von René Schellbach

„Ich mache Roth-grüne Politik für die Menschenrechte“, sagt sie – “rot mit th“. Das Wortspiel gefällt ihr, und es ist mehr als ein Wort. Rot-grün stellt den Kanzler, und Claudia Roth hat ihn mit­gewählt. Über die bayrische Landesliste von Bündnis 90/Die Grü­nen kam sie bei der letzten Bundestagswahl neu ins Parla­ment. Dieses hat einen neuen Ausschuß für Menschenrechte ge­bil­det, und Claudia Roth ist dessen erste Vorsitzende. Sie gilt als links und aufmüpfig. Dagegen wehrt sie sich nicht. „Wer für die Schwachen eintritt, kämpft gegen Widerstän­de“, sagt sie.

„Roth-grüne“ Politik: Claudia Roth will eng mit ihrem grünen Fraktionskollegen, Außenminister Fischer zusammenarbeiten. Sie hofft auf „Menschenrechte als Leitmotiv deutscher Außenpolitik“ – auch beim Asylrecht. Die Ab­schiebepraxis der Bundeslän­der und Kommunen richte sich nach den Länderberichten des Aus­wär­ti­gen Amtes. Fischer habe be­reits Zusammenarbeit signa­li­siert.

Doch Menschenrechtspolitik ist für die 43jährige gelernte Dra­maturgin mehr als Außenpolitik. „Wir sind draußen nur glaub­würdig, wenn wir bei uns selbst die Menschenrechte ernst neh­men“, sagt sie. Menschenrechte sind für sie mehr als das politi­sche Freiheitsrecht, das man vor fünfzig Jahren damit verbunden habe. Der Begriff müsse sich den Gegebenheiten der jeweiligen Zeit anpassen, fordert sie. In ihr Engagement für Menschenrechte fallen auch Frauenrechte, Gleichberechtigung für Schwule und Lesben, außerdem wirtschaftliche und soziale Rechte wie das Recht auf Arbeit und der Schutz vor Obdachlosigkeit, „auch das Recht auf persönliche Entwicklung und Ökologie“.

Mit einem solchen weitreichenden Menschenrechtsbegriff war sie schon im Europaparlament auf Kritik gestoßen, als sie 1997 den Bericht des Parlaments zur Achtung der Menschenrechte in der EU vorlegte. Die linken Fraktionen unterstützten sie und sicher­ten eine knappe Mehrheit. Frau Roth bekennt sich zur Europäi­schen Union, bemängelt aber ein Demokratiedefizit und klagte deshalb gegen den Vertrag von Maastricht. Seit 1989 gehörte sie dem Europaparlament an, überwiegend als Vorsitzende der grü­nen Fraktion. Dabei habe sie gelernt, zwischen verschiedenen In­teressen zu moderieren. Damit traut sie sich das nötige diploma­tische Geschick für den neuen Ausschußvorsitz zu.

Den Wechsel an den Rhein hat die Abgeordnete Roth bewußt ge­sucht. Sie habe Lust auf Neues gehabt und wollte näher an die Menschen heran. „Europapolitik kann entscheidend von Bonn aus mitgestaltet werden“, sagt sie, und meint damit auch die Bei­trittsverhandlungen mit der Türkei. Ihr Engagement für die Kur­den und gegen deutsche Rüstungslieferungen an die Türkei haben ihr am Bosporus den Status einer unerwünschten Person einge­bracht.

Im EU-Vergleich sei Deutschland bei den Menschenrechten „nur Durchschnitt“. Das will sie im Bundestag ändern. Befreit von den Schranken eines Unterausschusses möchte sie dem neuen Gre­mium auf möglichst vielen Feldern Einfluß im Parlamentsbe­trieb verschaffen und hat dafür zu Arbeitsbeginn auch Unterstüt­zung unter den Ausschußmitgliedern der anderen Fraktionen aus­ge­macht. Schwierigkeiten erwartet die Vorsitzende in der Außen­wirtschaftspolitik, wenn – etwa in China – deutsche Ex­port­interessen ins Spiel kommen. „In Menschenrechtsfragen bin ich parteiisch“, bekennt sie.

Bei ihrem Einzug in den Bundestag war der Weg an die Spitze des neuen Ausschusses nicht absehbar, war doch nicht einmal klar, ob dieser Sessel den Grünen überhaupt zufallen würde. Claudia Roth wollte Ausländerbeauftragte werden, kam aber nicht zum Zuge. Anders könnte es sein, wenn im nächsten Jahr die Nachfolge für EU-Kommissar Martin Bangemann (F.D.P.) zu regeln ist. Claudia Roth gilt als Favoritin der Grünen, und die ha­ben laut Koalitionsvertrag das Vorschlagsrecht. Dies wäre jedoch ein Politikum, ein Bruch mit der Tradition, wonach die großen EU-Länder bei ihrem Benennungsrecht für zwei Kommissare auch die jeweilige Opposition berücksichtigen. Ge­brochen hatte damit in Deutschland nur Helmut Kohl, der neben Bangemann den CSU-Mann Peter Schmidhuber nominierte, be­vor er die ehe­malige ÖTV-Chefin Monika Wulf-Mathies berief. An ihr werden die Sozialdemokraten wohl festhalten.

Claudia Roth auf dem Sprung nach Brüssel? Im Oktober sagte sie noch, sie hätte die besten Aussichten. Jetzt erklärt sie kurz: „Abwar­ten bis es soweit ist.“ Mit Spannung blicke sie auf den Umzug nach Berlin, nahe an die Grenze zu Polen, zu den EU-Beitritts­kandidaten. Diese und andere Themen wird sie auch im EU-Aus­schuß des Bundestages weiterverfolgen. Und „bayrische Po­litik“ will sie machen. Es sei „ein wichtiges Zeichen“, für Augs­burg ins Parla­ment gekommen zu sein. Die Region um die dritt­größte Stadt im Freistaat sei vorher nur von drei Männern vertre­ten worden, und keiner war von den Grünen.

Wochenzeitung „Das Parlament“ Nr. 50 vom 4. Dezember 1998

 

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