Redaktion René Schellbach

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Krise der Kanzlerin?

Auf die Kanzlerin kommt es jetzt an

 

Schild Merkelstraße in Sassnitz auf Rügen. (Bild: Schellbach)

Angela Merkel hat es nicht leicht: Europa wird geschwächt durch den Brexit und die Nationalisten. Ihr „Wir schaffen das“ in der Flüchtlingspolitik muss sie immer mehr korrigieren. Und der beginnende Bundestagswahlkampf macht das Regieren auch nicht leichter. Doch halt: Das ist noch keine Krise der Kanzlerin. Im Gegenteil: Der Amtsantritt von Donald Trump als 45. US-Präsident könnte ihr neue Gestaltungsspielräume eröffnen.

 „So schlimm wird es schon nicht kommen“, meinten politische Beobachter im Wahlkampf. Doch gegen alle Erwartungen besiegte der Polterer und Egomane Donald Trump in den Vorwahlen der Republikaner alle seine Gegenkandidaten und gewann dann auch noch das Rennen gegen Hillary Clinton. „So schlimm wird es schon nicht kommen“, glaubten die politischen Beobachter danach. Wahlkampf ist eine Sache, die politischen Realitäten, wenn er einmal an der Macht ist, werden ihn schon mäßigen. Doch die ersten Interviews und der fortdauernde Fluss an Twitter-Sprüchen aus dem Trump-Tower wecken immer neue Befürchtungen. Jetzt trifft Trumps Bannstrahl die angeblich „obsolete“ Nato, die deutschen Autobauer und die Kanzlerin wegen ihrer Flüchtlingspolitik.

Welchen Kurs die US-Außenpolitik einschlagen wird, ist noch völlig ungewiss. Bei den Anhörungen der neuen Minister waren Statements zu hören, die eklatant vom neuen ersten Mann im Weißen Haus abweichen. Wer wird sich durchsetzen? Werden die Republikaner ihrem Präsidenten Zügel anlegen? Und wenn ja, wird sich Donald Trump überhaupt zügeln lassen? Als Fernsehstar ist sein Selbstbewusstsein über die Jahre ins Unermessliche gestiegen. Er werde der größte Job-Produzent, den Gott je geschaffen hat, tönte er vor ein paar Tagen.  Wie Donald Trump mit Widerständen umgeht, hat er bereits gezeigt. Doch wie reagiert Trump, wenn er Widerstände mit seiner brachialen Art nicht brechen kann? 


Wie Donald Trump mit Widerständen umgeht, hat er bereits gezeigt. Auf die kritische Rede der umjubelten Meryl Streep bei der Verleihung der Golden Globes reagierte er wie so oft mit einer Gegenattacke. Streep sei eine völlig überschätzte Schauspielerin. Die Hollywood-Größe beleidigen ist eine Sache, den chinesischen Ministerpräsidenten ist eine ganz andere Nummer. Aus Beleidigung und Missachtung sind schon politische Konflikte entstanden, von Kriegen ganz zu schweigen.

Doch wie reagiert Trump, wenn er Widerstände mit seiner brachialen Art nicht brechen kann? „You're fired“, lautete sein unerbittliches Urteil in seiner Fernsehshow „The Apprentice“, deutsch „Der Lehrling“. „Du bist gefeuert“, wenn Du nicht so funktionierst, wie ich es will. Aber Merkel, Putin oder den chinesischen Staatspräsident Xi Jinping kann er nicht so einfach feuern. Wenn seine Republikaner oder die Minister und Beamten, die er hat akzeptieren müssen, ihm widersprechen, wird er wahrscheinlich poltern wie bereits gewohnt. Wenn er damit nicht gewinnt, könnte es durchaus sein, dass Trump keine vier Jahre durchhält und alles hinschmeißt. Für Merkel und Europa wäre das nur ein kleiner Sieg. Vizepräsident Mike Pence käme dann ins Amt und der christliche Fundamentalist ist auch sehr weit weg von dem, was in Deutschland so gern als die viel umworbene „Mitte“ bezeichnet wird.

Der politische Druck aus den USA nach Obama könnte dazu führen, dass Europa enger zusammen rückt.  Auch wenn Donald Trump nicht zurücktritt, eröffnen sich Chancen für Angela Merkel. Der politische Druck aus den USA nach Obama könnte dazu führen, dass Europa enger zusammen rückt. Das war auch schon so zum Beginn der Europäischen Gemeinschaft. Damals, im Kalten Krieg, verstand sich Europa als Wertegemeinschaft, die den Frieden und die westlichen Werte nur gemeinsam sichern könne. Das waren übrigens auch jene Werte, denen sich die Staaten des ehemaligen Ostblocks nach dem Fall des Eisernen Vorhangs so gern angeschlossen haben. Jene Staaten, von denen einige heute ein eigenwilliges Verständnis von Demokratie an den Tag legen. 

Die EU-Kommission hat schon längst ihre diplomatische Zurückhaltung abgelegt, wenn sie den Zustand einiger der jungen Demokratien Osteuropas beschreibt. Brüssel sorgt sich um die parlamentarischen Rechte in Polen und Ungarn, man beklagt den Einfluss von Oligarchen in Rumänien oder Bulgarien. Einzig die baltischen Staaten sind europäische Musterschüler. Aber sie wären auch die Ersten, die unter dem wachsenden Machthunger Wladimir Putins zu leiden haben. Je lauter Donald Trump gegen Europa wettert, desto stärker werden sie alle die Solidarität von EU und Nato brauchen.

Angela Merkel hat sich mit ihrer Führungsrolle in Europa freilich nicht nur Freunde gemacht. Viele werfen ihr vor, die Flüchtlingswelle durch ihre Grenzöffnung ohne Absprache mit den europäischen Partnern gefördert zu haben. Groß ist auch das Misstrauen gegenüber der wirtschaftlichen Überlegenheit Deutschlands. Aber alle wissen: Zurzeit ist Angela Merkel wesentlich berechenbarer als Donald Trump. So könnte der Präsidentenwechsel in den USA Angela Merkel in eine Rolle drängen, die sie wahrscheinlich gar nicht haben will. Deutschland könnte zum Wahrer europäischer Interessen werden, denn die Briten wollen weg von Brüssel, die Italiener kämpfen mit ihren maroden Banken und Frankreich unter Francois Hollande fehlt es im Wahljahr an Kraft. Paris braucht eine großen Koalition, um die rechtspopulistische Marine Le Pen zu verhindern.

Doch auch in Deutschland stehen Wahlen an. Zunächst im Saarland und in Schleswig-Holstein, dann der große Test im Mai in Nordrhein-Westfalen, dann die Bundestagswahl im September. Von „Superwahljahr“ ist bereits die Rede – und der Wahlkampf hat bereits begonnen. Die Parteien formulieren ihre Programme und Angela Merkel hofft noch, ein gemeinsames Programm mit der bayrisch-grantelnden CSU hin zu bekommen. Horst Seehofer dürfte sich mäßigen. Seine „Obergrenze“wird wohl flexibler werden um den Preis, in Berlin an der Macht zu bleiben.

Gerade jetzt zeigt unsere Demokratie, wie gut sie das Volk repräsentiert. Die Angst, abgewählt zu werden, ist ein wichtiges Korrektiv in der Demokratie.

Viele Pessimisten malen bereits eine Krise der Kanzlerin oder gar der deutschen Demokratie insgesamt an die Wand. Es heißt, die Parteien seien längst nicht mehr Repräsentanten des Volkswillens. Und wenn die Lautstarken im Volk sich mit ihren Straßenparolen immer mehr Gehör verschaffen, würden AfD und Pegida die Demokratie schwächen. Aber gerade jetzt zeigt unsere Demokratie, wie gut sie das Volk repräsentiert. Angela Merkel musste für ihre Flüchtlingspolitik schon viel Kritik einstecken. Ihre Regierung verschärft das Asylrecht und die Terror-Abwehr gegen echte oder vermeintliche Islamisten. Damit reagieren die Mächtigen auf den Stimmungsumschwung der von ihnen Regierten. Die Angst, abgewählt zu werden, ist ein wichtiges Korrektiv in der Demokratie.

Das Ergebnis der nächsten Bundestagswahl hängt von vielen Unwägbarkeiten ab. Die wehrhafte Demokratie kann sich nicht gegen jeden Terrorakt wehren. Die Toten vom Weihnachtsmarkt bei der Berliner Gedächtniskirche waren womöglich noch nicht die letzten Opfer vor der Bundestagswahl. Und mit jedem Anschlag kann die Stimmung kippen zu noch mehr Radikalisierung in der Bevölkerung.

Ob die FDP den Einzug in den Bundestag schafft, wie stark die AfD abschneidet und ob es der Linken gelingt, das soziale Gewissen der Leute anzusprechen – davon hängt die Sitzverteilung im neunzehnten Deutschen Bundestag ab. Die Linken in der SPD haben bereits versucht, eine rot-rot-grüne Regierung ins Spiel zu bringen. Am Wahrscheinlichsten ist momentan jedoch der Fortbestand der Großen Koalition. Man wird sich aber vom Attribut „groß“ verabschieden müssen. Die SPD schafft es gegenwärtig kaum, wesentlich mehr als 20 Prozent der Wähler zu gewinnen. So wird es eine ganz gewöhnliche Koalition mit einem großen und einem kleinen Partner. „Koch und Kellner“ nannte das mal Gerhard Schröder. Damals war er der Kanzler, der Koch, der sagt, was auf den Tisch kommt. Heute ist seine SPD der Kellner, der auftischen muss, was die Köchin auf dem Küchenplan hat.

Die Zeit zwischen dem Amtsantritt von Donald Trump und der möglichen Wiederwahl von Angela Merkel wird eine Übergangszeit. Die USA erleben einen Paradigmenwechsel ihrer politischen Klasse. Das politische Establishment kämpft mit den Milliardären in der neuen US-Regierung. Es gibt einen neuen Politik-Stil in die Administration. Je schneller sie die Reibungsverluste des Anfangs überwindet, je schneller sie eine politische Strategie entwickelt, desto besser können die USA den Anspruch als Führungsnation der Freien Welt mit Leben füllen.

Wenn sich der Stil Donalds Trumps aus dem Wahlkampf mit seinen Eitelkeiten und Beleidigungen durchsetzt, dann wird der Widerstand im In- und Ausland wachsen. Dann könnte Angela Merkel einen Teil der amerikanischen  Führungsrolle übernehmen. Damit wird Deutschland nicht zur Supermacht, aber vielleicht zum kraftvollen Motor Europas. CDU und CSU brauchen eine kraftvolle Kanzlerin im Wahlkampf. Europa braucht eine starke, einigende Stimme. „Auf den Kanzler kommt es an“, textete die CDU im Wahlkampf 1969 für Kurt-Georg Kiesingers große Koalition. Jetzt kommt es auf Angela Merkel an. Hat sie den Mut, die Entschlossenheit, die Kraft? Es sind spannende Zeiten, Krisenzeiten sind es nicht – noch nicht.

 

 
 

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